Von Heiner Schultz
LICH – Ein ungewöhnlich großes Publikum lauschte am Samstag in der Bezalel-Synagoge dem Konzert der Gruppe „Halva“. Das Sextett überraschte sein Publikum mit einem Programm eigener Titel, die sie auf höchstem Niveau und mit exzeptioneller Spielfreude ablieferten. Neben der handwerklichen Güte nahm das Ensemble vor allem mit herrlicher Innovationsfreude für sich ein: Klezmer auf dem Stand der Zeit.
Das haben sie sich auf die Fahnen geschrieben: Nicolaas Cottenie (Belgien, Geige), Alina Bauer (Deutschland, Geige), Eline Duerinck (Belgien, Cello), Antje Taubert (Deutschland, (Klarinette), Robbe Kieckens (Belgien, Perkussion) und Ira Shiran (Israel, Akkordeon).
Aber erstmal legen sie mit „Turns out it’s a sher“ richtig los und bringen einen heftigen musikalischen Wind ins Kulturzentrum. Die sämtlich unverstärkten Instrumente klingen hier mit einer wunderbar natürlichen Klarheit, allein das sorgt schon für ein angenehmes Konzerterlebnis; keine Nuance geht verloren – und davon hat es viele an diesem Abend.
Doch zunächst ergreift eine profunde Überraschung den Zuhörer: alles ist Klezmer, klar, aber es ist auch alles ein bisschen anders. Nicht nur agiert die Band mit enormer Geschlossenheit, neben den klassischen Elementen des Klezmer, souverän ausgeführt, hört man immer wieder ungewohnte, jazzige Töne. Die kümmern sich nicht ums traditionelle hörmäßige Wohlbefinden, wie etwa „Frelex + looks like“. Und in „It’s more East“ herrscht vor allem ein schwungvolles tänzerisches Wiegen, Tauberts Klarinette saust schwungvoll über allem.
In „Desert moon“ hört man ein Kernelement der Band, eine virtuose Kooperation, ja eine Verschmelzung der ersten und der zweiten Geige. Cottenie und Bauer lassen da ihre Stimmen zusammenwachsen zu einer grundlegenden Fläche von großer Schönheit, perkussiv ergänzt, Klarinette und Cello tragen die Melodie, dann übernimmt sie das Akkordeon und man geht mit allen gemeinsam in ein fetziges Thema über, wird wilder und kommt zu einem überragend prägnanten Abschluss. Ein Glanzlicht reinster Güte und größter Geschlossenheit, das Publikum ist hingerissen, und der Beifall dauert schon von Anfang an doppelt so lange wie üblich.
Apropos: Gewöhnlich wird Klezmer mit Schwerpunkt auf den Tanz interpretiert, durchaus schwungvoll und musikalisch, aber meist ohne inhaltlichen Anspruch, was schon zu so manchem drögen Musikabend führte, auch in diesem schlecht geheizten Saal.
Nichts davon betrifft Halva. Es „fliegt eine Rakete zum Mond“, skizziert Cottenie die Inspiration zu „Desert moon“, das von einem sanften Groove geprägt ist. Er intoniert er die Geige wie eine elektrische Leadgitarre und zeigt sich als herausragender Instrumentalist. Alle Mitwirkenden agieren mit herausragender Konstruktivität und Sensibilität. Immer wieder werden die vertrauten Strukturen in Richtung Jazz aufgebrochen, Rhythmuswechsel bringen Frischluft ins Geschehen. Besonders segensreich in dieser exzellenten Band bringt sich Robbe Kieckens mit seiner intuitiv sensiblen, hoch musikalischen Perkussion ein, die das Spektrum wohlbalanciert abrundet. So wird aus dem Klezmer etwas ganz anderes, viel langsamer und wunderschön. Einige Wechsel zum Trio lockern das Geschehen zusätzlich auf.
Auffällig sind auch die kompositorischen Feinheiten, wenn Akkorde aus mehreren Instrumentalstimmen zusammengesetzt werden, was zu Momenten wahrer, großer Schönheit führt. Es herrscht eine beglückende formale und klangliche Vielfalt, es wird ohne jede handwerkliche Einschränkung musiziert, einfach himmlisch. Zuweilen besucht man neugierig die Grenzbereiche von Genre und Instrumenten. Die Arrangements sind insgesamt äußerst stimmig, und Halva führen den Zuhörer und den Klezmer in eine ganz neue Region; er hatte es nötig.
Nicolaas Cottenie ist dabei, das Genre Klezmer zu modernisieren, und er hat mit diesem Ensemble auch genau die richtigen Wegbegleiter gefunden: ein sensationelles Unterfangen und ein herausragendes Konzert. Endloser Beifall.