Derbe Frankfurter, fiese Gießener

Premierenlesung im Kino Traumstern: Charly Wellers neuer Krimi „Gallus“ führt von der Bankenmetropole bis Mittelhessen.

Von Petra Zielinski
Schickt seinen Kommissar Worstedt diesmal ins raue Frankfurt: Krimiautor Charly Weller. Foto: Zielinski

Schickt seinen Kommissar Worstedt diesmal ins raue Frankfurt: Krimiautor Charly Weller. Foto: Zielinski

LICH – High Noon im Licher Kino Traumstern. Wo sonst zumeist Filme über die Leinwand flimmern, stehen nun ein Stuhl und ein Tisch, darauf eine grüne Lampe. Totenstill ist es im Saal, bis Charly Weller die Bühne betritt, ein Buch in der Hand: seinen neuen Kriminalroman mit dem Titel „Gallus“.
„Wer hat den Herren im Waschbärenkostüm getötet?“ Darum dreht sich alles im gewohnt milieugetreu geschilderten, mit skurrilen Figuren bevölker-ten Thriller. „Ich schreibe keine lustigen Krimis“, nimmt Weller gleich vorweg. Dass der ein oder andere Zuhörer bei der Premierenlesung aber doch schmunzeln muss, liegt am unvergleichlichen Erzählstil des 68-Jährigen.
Da ist beispielsweise vom „abgewichsten Kaisersack-Adonis“, vom „amtlichen Schiss“, „einer Premium-Pussy namens Reinhild“, „Himbeer-Tony“ und „Grün-Weiß Nordend“ (eine Bezeichnung für die „Bullen“) die Rede. Und obwohl Charly Weller im Nachwort seines Buches schreibt, dass Handlung und Personen frei erfunden sind, lehnen sich doch einige an reale Menschen an. So hat er eine drogensüchtige Prostituierte, die wie Reinhild im Buch Geschichten und Gedichte schreibt, in einer Dokumentation entdeckt. Zum Schreiben gehört für Weller also nicht nur Fantasie, sondern auch offene Augen und Ohren.
Die Orte freilich sind – zur Freude der Fans – real. „Ich schaue mir immer die Orte an, die in meinen Geschichten wichtig sind“, berichtet der langjährige Filmregisseur. „Wenn ich über Dinge schreibe, die ich kenne, bin ich immer auf der sicheren Seite.“ Gleich zu Beginn des Buches geht beispielsweise Pia, deren Mann Lothar im Sterben liegt, mit ihrem Hund Rocco am Mainufer nahe der Rudergesellschaft Borussia spazieren. Und schon bald spielt auch Gießen eine Rolle, denn der im Park der Frankenallee im Frankfurter Gallusviertel gefundene Tote hat die Einladung zu einer Feier des Liebig-Museums in Gießen dabei.
An dieser Stelle treten der fleißigen Weller-Lesern längst ans Herz gewachsene Kommissar Roman Worstedt – hinter seinem Rücken despektierlich „Worschtfett“ genannt – und seine Kollegin Regina Maritz auf den Plan, die im Laufe ihrer Ermittlungen durch die Universitätsstadt und die „Frankfurter Bronx“ unter anderem auch den dunk-len Machenschaften der Gießener Obrigkeit auf die Spur kommen.
Dunkle Machenschaften
Der 1951 in Marburg geborene und in Gießen und Wetzlar aufgewachsene Charly Weller las verschiedene Kapitel seines mittlerweile sechsten Krimis um das Ermittlerduo vor, ohne dass ein klarer Zusammenhang zwischen den Erzählsträngen erkennbar war. „Wenn Sie wissen wollen, wie das alles zusammenhängt, müssen Sie das Buch lesen“, machte er die Zuhörer neugierig.
Wurde der Tote im Waschbärenkostüm mit der Waffe ermordet, die der Fahrer eines weißen SUVs am Anfang der Geschichte in den Main wirft? Was weiß die 52-jährige Prostituierte? Und was hat der Licher Lehrer Klaus Volkmann mit der ganzen Sache zu tun? Bei Volkmann handelt es sich um einen Tierschützer, der gemeinsam mit seiner Frau eine Auffangstation betreibt und mit der örtlichen Jägervereinigung im Clinch liegt. Angeblich wurden zwei seiner Waschbären brutal ermordet. Als die ermittelnde Polizei „die Totenruhe von Mona und Lisa“ stört, in dem sie das Grab öffnet, befindet sich nur ein Waschbär darin. An dieser Stelle wechselt dann die Polizei den Tonfall – und in den „Klartextmodus“.
Besonders abgefahren wird es, als ein Filzballen gefunden wird, aus dem nur die Beine eines, wie sich später heraus-stellt, geknebelten, Mannes heraus-schauen. Angeblich hätten ihn „vier kleine Negerlein“ eingewickelt und auf der Straße ausgesetzt. Einmal mehr fragt sich Kommissar Worstedt: „Warum habe ich nicht einen anständigen Beruf gelernt?“ Denn die Situation ist nicht mehr nur prekär, sie ist „Scheiße hoch drei“.
Nach der Lesung lautete dann folgerichtig die Frage, woher Charly Weller seine Ideen nimmt. Beim Mord ließ er sich durch Bilder von Menschen, die in Waschbärenkostümen demonstriert haben, inspirieren. „Alles was ich zugetragen bekomme, geht durch einen Filter“, erklärte er. „Man muss genau schauen, was wichtig für die Entwicklung einer Geschichte ist. Wenn im dritten Akt ein Schuss fällt, muss im ersten Akt ein Gewehr von der Wand genommen worden sein“, zitierte er Anton Tschechow.
Gefragt nach seinem neuesten Projekt, gab Weller preis, dass sich sein nächster Krimi an den „Ricconelly-Mord“ in Gießen anlehne, aber eine fiktive Geschichte bleibe. „Ein Buch anfangen, das ist immer ein wenig, wie nach Amerika schwimmen“, scherzte er.